Eine kleine Geschichte des Abfalls

Die Solothurner Zeitung hat die Frage gestellt, ob nicht gar "Sammelkandidatinnen und -Kandidaten" rekrutiert werden sollen. Auch die Politik wollte anstelle von Bussen Sozialstunden als Strafe vorsehen. Eine kleine Geschichte zum Abfall zeigt, dass Solches schon mal praktiziert wurde.

Der Stadtbummler von der Solothurner Zeitung hat sich an den Kopf gelangt, weil die Hirnleistung abfällt (siehe Beitrag in der Solothurner Zeitung vom 14. Juni 2024, geschrieben von Urs Mathys). Das Verhalten der Litternden wird als schräg bezeichnet. Denn an Abfallkübeln fehlt es nicht. Und längst weiss jedes Kind, dass Littering nicht nur dumm, lästig und teuer ist. Sollte die goldene "5" der Litteringkampagne nichts nutzen, so schlägt der Schreiberling vor, mit der Selektion der Sammel-Kandidatinnen und -Kandidaten zu beginnen. Die Politik wollte gar die Einführung von Sozialstunden, anstelle von Bussen. Dies lässt die Gesetzgebung allerdings nicht zu. Ein Blick in die Geschichte des Abfalls zeigt, dass das schon mal anders war.

Die Pfahlbauer haben ihren Abfall durch Lücken des Fussbodens oder durch eine Art Falltür im Boden entsorgt. Die Abfälle wurden auf diese Weise zum grössten Teil im Wasser fortgetrieben. Die fortgesetzten Ablagerungen an immer der gleichen Stelle unter den Pfahlhütten hat indes dazu geführt, dass der nicht weggeschwemmte Teil des Abfalls mit der Zeit über den Wasserspiegel hinausgewachsen ist. Fäulnisprozesse und der entsprechende Gestank haben daraufhin den Aufenthalt unmöglich gemacht. Diejenigen Eigenheimbesitzer, die trotz Geruchsbelästigungen ausgeharrt haben, wurden in der Folge nicht selten von Seuchen heimgesucht, die sie schlussendlich doch noch zu raschem Abzug zwangen. Zumindest wird so das ansonsten unerklärliche, fluchtartige Verlassen einzelner Pfahlbauten und der Neuaufbau an anderen, noch sauberen Uferstellen gedeutet. Wir haben es hier vermutlich mit der ältesten bekannt gewordenen Umweltverschmutzung durch menschliche Abfälle zu tun. Erste Deponien finden sich schon in der letzten mittelsteinzeitlichen Periode um 5000 - 2000 v.Chr. Archäologen fanden in Nordeuropa grosse Abfallhaufen aus Muschelschalen. Eine dieser Abfalldeponien soll 320m lang, 65m breit und über 65m hoch gewesen sein, umfasste also ein Volumen von fast 200'000 m3. Die regelmässige Schichtenfolge zwischen Abfallresten und Aschelagen deutet darauf hin, dass die Menschen ihre Abfälle einfach niederbrannten, sobald deren Ausdünstungen unerträglich wurden.

Während der Herrschaft Kaiser Augustus lebten in Rom 7 ½ Mio. Einwohner. Die Bevölkerungsdichte war mit 80'000 Einwohnern pro Quadratkilometer 20-mal höher als in unseren heutigen Städten. Während die Häuser der Patrizier mit Badezimmern und Wasserklosetts ausgestattet waren und damit über einen Standard verfügten, der erst in unserem Jahrhundert wieder erreicht wurde, herrschten in den ärmeren Quartieren der Stadt katastrophale Zustände. Die bis zu sieben Stockwerke hohen Häuser verfügten weder über Wasseranschluss noch Toiletten. Wer nicht gegen Bezahlung die öffentlichen Bedürfnisanstalten benutzen wollte, musste seinen Nachttopf in ein Fass im Treppenhaus entleeren. Dieses wurde in unregelmässigen Abständen von Müllkutschern abgeholt. Oder er konnte den Topf auf einen der vielen Misthaufen in der Nachbarschaft schütten. Wem allerdings die Stockwerke zu hoch und die Misthaufen zu weit waren, der hat seinen Nachttopf-Inhalt und jeglichen anderen Unrat aus dem Fenster auf die Strasse gekippt. Das war zwar verboten, aber aus zeitgenössischen Berichten lässt sich schliessen, dass trotzdem oft von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht wurde. Bei allfälligen Körperschäden an Passanten galt in Rom folgende Regelung: "Wenn von einem Haus eines dieser Geschosse heruntersaust und einem freien Mann verletzt, so sind dem Opfer sämtliche Arzt- und Heilungskosten zu erstatten, aber auch die durch die Arbeitsunfähigkeit entgangenen Gelder. Bei Narben und bleibenden Entstellungen besteht kein Anspruch auf Entschädigung. Indes sind bei Todesfolge 50 römische Goldmünzen an die Erben zu entrichten.

Der verbleibende Hausmüll wurde in Rom oft zusammen mit Tierkörpern in grosse Gruben vor den Stadtmauern geworfen. Dort wurde auch alles andere, was an wertlosem in der Millionenstadt anfiel, abgeladen. Insbesondere auch die Leichen der Armen und Sklaven und - was zu der Zeit nicht ganz unwesentlich war - die Opfer der Schaukämpfe im Amphitheater. Wohlhabende Leute erbieten in der Regel eine aufwändige Feuerbestattung. Weil es damals noch keine Rauchgasreinigung gab, hat man den Gestank unter massivem Einsatz von Wohlgerüchen überdeckt. Bei der Bestattung von Neros Frau, die nach einem Fusstritt ihres Gatten das Zeitliche segnete, soll Nero mehr Duftstoffe verbrannt haben als ganz Arabien damals in einem Jahr produziert hat.

Gegen Abfallsünder ging man teilweise, zumindest aus heutiger Sicht, mit drakonischer Härte vor. Ferdinand 1. von Aragonien z.B. hatte 1220 in Neapel angeordnet, dass alle jene Müller, Fleischer oder Karrenführer, welche Unrat, Mist oder Schutt an anderen als den bezeichneten Orten ablagern, ergriffen und in die Galeere geschickt oder durch die ganze Stadt gepeitscht werden sollen. Die immer katastrophaleren hygienischen Bedingungen führten dazu, dass Europa oder einzelne Teile davon alljährlich von Seuchenzügen heimgesucht wurden. Besonders die Pest durchzog in regelmässigen Abständen die damals bekannte Welt. Im Jahre 1350 dezimierte der Schwarze Tod die europäische Bevölkerung um fast einen Drittel. Erste Versuche, dem Gestank und dem Seuchenproblem Herr zu werden, wurden bereits im Paris des 14. Jahrhunderts unternommen. 1348 verpflichtete man die Anwohner, ihre Strassen sauber zuhalten. Weil diese die Anordnung aber nicht befolgten, wurden die Strafen erhöht. Damit erreichte man aber nur, dass der Unrat in nächtlichen Geheimaktionen auf öffentlichen Plätzen, in Kirchen und auf Friedhöfen abgelagert wurde.

Unter diesen Voraussetzungen entwickelte sich bald ein Gewerbe, das die Strassenreinigung und die Abfallentsorgung gegen Bezahlung übernahm. Dies war in etlichen Städten des 16. Jahrhunderts die Geburtsstunde der ersten geordneten Müllabfuhr. Berlin z.B. beschäftigte Gassenmeister, die mit einem Karren durch die Strassen fuhren, wobei die Bürger ihren Unrat selbst einzuladen hatten. Blieb vor einem Haus Dreck liegen, so war der Gassenmeister berechtigt, diesen durch ein Fenster in die Wohnung zu schaufeln. Die eingesammelten Abfälle wurden zu einer zentralen Sammelstelle gebracht. Die Bauern, die zum Verkauf ihrer Erzeugnisse in die Stadt kamen, waren verpflichtet, von dort ein Fuder Unrat mitzunehmen und aus der Stadt zu führen. Quelle: Rolf Kettler, Bundesamt für Umwelt (vormals BUWAL, Oktober 2000).

Dieser geschichtliche Rückblick zeigt, dass das Thema Littering schon sehr alt ist und dass auch Strafen nicht abschreckend wirkten. Immerhin hat sich die Abfallwirtschaft so gut entwickelt, dass es nicht mehr so schlimm wie früher ist. Und trotzdem zeigen wir Grösse und handeln gegen Littering.

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